Das Göttliche im Buddhismus - Verbeugen vor der Buddha-Natur (2024)

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Das Göttliche im Buddhismus

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Das Göttliche im Buddhismus - Verbeugen vor der Buddha-Natur (1)

Milena Reinecke·16.10.2022

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Der Buddhismus gilt als atheistische Religion, die Vorstellung von einem Schöpfergott existiert hier nicht. Trotzdem knien Menschen in Tempeln überall auf der Welt vor Buddha-Statuen. An wen oder was richten sich ihr Gebet und ihre Ehrerbietung?

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Beim Betreten des Tempels haben sie sich verbeugt. Nachher, wenn die Meditation beginnt, werden sie wieder die Hände vor der Brust zusammenführen und sich verneigen: drei Mal vor der goldenen Buddha-Figur auf dem Altar, einmal vor Shifu, ihrer buddhistischen Lehrerin. Lucy und Ruben praktizieren Buddhismus im Miao-Fa Zentrum in Berlin, üben, ihre Gedanken, ihre Konzepte und ihr Ego hinter sich zu lassen.

Knien vor einem Bildnis

Dass es keinen Gott gibt, davon sind sie überzeugt. Keinen Schöpfer und auch kein Ich, nur unpersönliches Bewusstsein. Und doch kennt ihre Praxis ein Du, ein Gegenüber, mit dem sie in Dialog treten, das angerufen und verehrt wird: Buddha.

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Auf dem Weg zur tieferen Einsicht: Lucy und Ruben möchten in der Meditation das Ego hinter sich lassen.© Deutschlandradio/ Milena Reinecke

Wir sitzen im Vorraum des Meditationszentrums, auf dem Holztisch steht eine Kanne Tee. Lucy versucht zu erklären, warum sie sich vor einer Statue verbeugt:

Wir als Taiwanerinnen sind sehr daran gewöhnt, also wir machen das schon in der Schule als Kinder: Wir verbeugen uns immer vor dem Lehrer. Und wenn man sagt: Ah, da ist eine Buddha-Statue – das hat immer mit Respekt zu tun. Und wenn man das gemacht hat, fühlt man sich viel ruhiger. Ich betrachte die Statue nicht nur als Statue, sondern als ob da wirklich Buddha ist.“

Streben nach Erleuchtung

Ruben kommt ursprünglich aus Venezuela, er hat sich das Verbeugen erst angewöhnen müssen. Inhaltlich teilt er aber Lucys Sicht: Natürlich: Die Statue repräsentiert den historischen Buddha.“

Gleichzeitig verkörpere Buddha wiederum einen Zustand, sagt Ruben: den der Erleuchtung, in dem die Konzepte von Persönlichkeit und Zeitlichkeit bedeutungslos seien. Man verbeuge sich nur oberflächlich vor einer Person und eigentlich vor der allgemeinen „Buddha-Natur“, erklärt Ruben: dem Potenzial in jedem Lebewesen, auch diesen Erleuchtungszustand zu erreichen.

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Das Selbst überwinden: Die Buddha-Natur liegt jenseits der Dualität, die unsere alltägliche Erfahrung prägt, erklärt die buddhistische Lehrerin Shifu Simplicity.© Miao-Fa Zentrum für Meditation

Dieser Zustand kann auch „göttliche Wirklichkeit“ genannt werden, meint der katholische Theologe Daniel Rumel. Die Meditationspraxis und die mit ihr einhergehenden Einsichten seien gar nicht exklusiv buddhistisch. Das Christentum zum Beispiel kenne eine lange Stilletradition, so das Ergebnis von Rumels religionsvergleichenden Studien über den Buddhismus und das Christentum.

Ob im dritten Jahrhundert nach Christus in der ägyptischen Wüste oder im Mittelalter in Deutschland unter dem Begriff Kontemplation, die vorneuzeitlichen Christen hätten viel meditiert und Gott dabei primär unpersönlich, als ein unaussprechliches Geheimnis erfahren, von dem man sich eben kein Bild machen sollte.

Ein Wort für das Verstummen vor Gott

„Wenn wir Worte benutzen, dann beschreiben wir häufig Dinge“, sagt Daniel Rumel. „Und wenn wir jetzt das Wort ‚Gott‘ benutzen - da gibt es einen wunderbaren Aufsatz von Karl Rahner, in dem es heißt, dass das Wort Gott das Wort vor dem Schweigen ist, das es eigentlich meint. Und wenn ich jetzt das Wort ‚göttliche Wirklichkeit‘ benutze, dann benutze ich es, weil ich kein besseres habe."

"Warum habe ich kein Besseres?", fragt Rumel. "Weil ich nur sprechen kann aus der Beschränktheit meiner menschlichen – im buddhistischen Sinn samsarischen, im christlichen Sinn sündhaften – Existenz. Dann benutze ich das Wort ‚göttliche Wirklichkeit‘ für das, was hinter diesen Worten liegt.“

Spannenderweise, sagt Daniel Rumel, habe diese letzte Wirklichkeit sowohl im Christentum als auch im Buddhismus eine erlösende Dimension.

Wenn ich diese Wirklichkeit Gottes erfahre, werde ich aus der leidvollen Existenz meines Daseins erlöst. Und nichts anderes geschieht im Buddhismus - und deswegen ist es diese Perspektive, die mich auch im Buddhismus von einer göttlichen Wirklichkeit reden lässt.

Daniel Rumel, katholischer Theologe

In den christlichen Kulturen sei diese Erfahrung von Göttlichkeit mit der Aufklärung weitestgehend verloren gegangen. Im Buddhismus hingegen gehe es immer noch darum, sich als das individuelle Subjekt, als das man sich im Alltag wahrnehme, aufzulösen und eins zu werden mit dem Transzendenten.

Weisheit vom anderen Ufer

Um sich emotional und intellektuell auf diese Erfahrung einzustimmen, sollen sich Buddhistinnen und Buddhisten nicht nur in Demut verneigen, sondern dabei das Herz-Sutra rezitieren, das die zentralen Annahmen der buddhistischen Philosophie enthält, erklärt Rumel:

„Und dann klingt der Gong, und man kann sagen: All diese Gedanken, all diese Ideen von mir selbst – Nirvana, ich, auf dem Weg zum Ziel –, das sind auch wieder nur Ideen. Und wir sind im Reich der Ideen, das ist dieses Ufer. Und um uns zu erlösen an diesem Ufer, ist was aufgestellt? Die Weisheit vom anderen Ufer. Es gibt eine Anrufung des Geistes vom anderen Ufer, der in den Geist eingeladen wird, der verloren ist. Und dann ist Stille. Man lässt das eigene Denken Aus-reden im wahrsten Sinne des Wortes.“

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Der Wunsch, beschützt zu sein: Zen-Meisterin Doris Myôen Zölls versteht, warum viele Menschen in der Vorstellung von einem Gegenüber Halt finden.© Thomas Appel

Einigen Buddhistinnen und Buddhisten genügt die Stille. Die Zen-Meisterin Doris Myôen Zölls findet es irreführend, sich erst ein Gegenüber vorzustellen, um danach die Idee von Dualität wieder fallenzulassen. Sie kann trotzdem nachvollziehen, warum sich solche Rituale in vielen Schulen des Buddhismus etabliert haben.

Sehnsucht nach dem Heiligen

„Die Sehnsucht des Menschen, etwas Heiliges zu haben, etwas Gutes, etwas, das einen beschützt, das einem hilft, ist groß", sagt Zölls. "Der Ausdruck des Religiösen ist ein Ausdruck der menschlichen Bedürftigkeit, Hilfe von außen zu bekommen.“

Damit können auch Lucy und Ruben sich identifizieren. Sie sehen sich in einem Zwischenstadium, gelenkt von weltlichen Bedürfnissen, doch auf dem Weg zur tieferen Einsicht.

„Momentan denken wir in dieser Dualität, aber wenn wir die Erleuchtung bekommen, wird diese Dualität erloschen sein“, sagt Ruben. Lucy ergänzt: „Dann gibt es keine Dualität, das ist ein sehr guter Punkt. Dieses Gefühl ist so schön, wenn man tiefen Respekt zeigt, ist man sehr nah an der Buddha-Natur, man hat nicht viele Gedanken. Ich verbeuge mich vor Buddha, ich verbeuge mich auch vor mir selber, ich bin dann ohne Gedanken auch Buddha.“

Mittlerweile hat sich der Vorraum des Tempels gefüllt, in wenigen Minuten beginnt die Meditation. Shifu Simplicity, buddhistische Nonne und Leiterin des Zentrums, hat gerade noch ein paar Meditationsanfänger in die Atemtechnik eingeführt und setzt sich jetzt noch kurz zu uns dazu. Sie ist der Meinung, dass es nicht sinnvoll ist, im Buddhismus von Gott zu sprechen. Für sie ist der Begriff vom modernen Christentum geprägt und damit von einer Logik, die nicht zum Buddhismus passt.

Ausbruch aus dem Kreislauf

„Gott ist ja eher etwas im Außen“, sagt Shifu Simplicity. „Es gibt eine Dualität, es wird zum Beispiel gelehrt, wir könnten Gott nicht wirklich ebenbürtig sein. Und im Buddhismus ist es ganz anders: Buddha lehrt uns, dass wir alle Buddha werden können. Im Buddhismus gibt es auch keinen Kreateur der Welt, die Welt ist kreiert durch unser eigenes Karma. Also, es gibt verschiedene Ansätze, wie wir die materielle Welt erklären, aber da gibt es keinen Schöpfer."

Das Ziel des Buddhismus bestehe darin, aus dem Samsara, dem Kreis der Wiedergeburten, auszubrechen, der im Wesentlichen dadurch existiere, dass wir der Vorstellung von einem eigenständigen Selbst anhängen, erklärt Shifu Simplicity.

"Und wenn man das auflösen kann durch seine innere Praxis, dann löst man quasi diesen ganzen Kreislauf auf und kann sich verbinden mit der Leerheit der Phänomene und dann eine Stufe weiter seine Buddha-Natur realisieren, die aber jenseits ist von Dualität, von ich und Du, innen und Außen, eins – mehrere. Und das kann man nicht mehr in Worte fassen.“

Zen-Meisterin Doris Myôen Zölls probiert es trotzdem: „Es ist die Erfahrung, im Fluss zu sein, und nicht identifiziert zu sein mit den Wellen.“

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