Von der Zensur zum "Blesk" (2025)

Von der Zensur zum "Blesk" (1)

Das Modell des "Blick", der grössten Tageszeitung der Schweiz, hat Osteuropa erobert.

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht

6 Minuten

Von der Zensur zum "Blesk" (2)
  • Mehr von dieser Autorin / diesem Autoren

Auch in der tschechischen Republik, wo sich die Medienlandschaft seit 1989 grundlegend gewandelt hat, ist die grösste Tageszeitung im Blick-Stil aufgemacht.

Bis zum Ende der 80-er Jahre hiess die meistgelesene Zeitung in Prag «Rude Pravo» (Rotes Recht). Das offizielle Organ der Kommunistischen Partei war in der ehemaligen Tschechoslowakei allgegenwärtig.

Damals träumten viele von der Pressefreiheit, vom Ende der Zensur und von neuen Informationsmitteln. Aber niemand konnte voraussehen, dass sich die Medienlandschaft innerhalb weniger Jahre so radikal verändern würde, wie es der Fall sein sollte. Genauso wie die Gesellschaft im Allgemeinen, die einen radikalen Umbruch durchgemacht hat.

Sicherlich hatte sich damals niemand vorgestellt, dass in 10 Jahren die auflagenstärkste Zeitung der neuen Republik «Blesk» (Blitz) heissen würde. In der Zeitung gibt es einen bunten Strauss an Nachrichten, ein wenig Erotik, ein bisschen Blut und eine gute Dosis Sport. Es sind dieselben Inhalte, aus denen die westeuropäischen Boulevard-Blätter gemacht sind.

Ein Zeitungsstil als Exportschlager

Die Tageszeitung Blesk sieht dem Blick zum Verwechseln ähnlich. Dies ist kein Zufall: Blesk wird wie der Blick von der Ringier-Gruppe publiziert.

Der grösste Schweizer Zeitungsverleger gehörte zu den Ersten, die nach dem Fall des kommunistischen Regimes nach Osteuropa expandierten. Inzwischen ist Ringier zu einem der bedeutendsten Verleger in Osteuropa avanciert – der Verlag publiziert rund 30 Titel im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich.

Der unverkennbare Stil des Blick, der in der Schweiz häufig kritisiert wird, ist folglich ein äusserst erfolgreicher Exportartikel im Medienmarkt geworden.

In Ungarn heisst die Zeitung Blikk, in Serbien Blic, in Rumänien Libertae und in der Slowakei Novy Cas. Der Name ändert sich je nach Land, aber der Stil ist überall gleich. Und die Zeitungen sind jeweils Marktleader sowie ein Blickfang am Kiosk.

Nah an den Lesern

«Es hat Jahre gebraucht, um die Leser hier an diese Art der Information zu gewöhnen sowie Misstrauen und eine gewisse Scheu im Umgang mit gewissen Themen abzubauen», sagt Tomás Böhm, Direktor von Ringier in der tschechischen Republik.

Blesk ist inzwischen allgegenwärtig: in Bars, Trams, in Büros und den heimischen Wohnzimmern. Vereinzelte Versuche, die Dominanz von Blesk zu brechen, sind allesamt gescheitert. Seit 2001 mussten zwei neue Zeitungen ihr Erscheinen wieder einstellen.

«Unsere Konkurrenten haben den Fehler begangen, dass sie einen Abklatsch ausländischer Zeitungen lancierten, ohne auf die lokalen Gewohnheiten Rücksicht zu nehmen», unterstreicht Tomás Böhm. «Blesk hat sich der Realität des Landes angepasst. Alle Artikel werden hier geschriebent.»

Politische Unabhängigkeit

«Im Gegensatz zu anderen nationalen Zeitungen, die parteipolitisch eindeutig gefärbt sind, hat sich Blesk ganz an sein Schweizer Vorbild gehalten und eine vollkommene Unabhängigkeit gegenüber allen Parteien und Machtgruppen bewahrt,» behauptet der Ringier-Leiter in Prag.

Diese Strategie hat sich im Laufe der Zeit ausgezahlt. Denn die Demokratisierung des Landes hat viele Leute enttäuscht und zu einem generellen politischen Desinteresse geführt.

Mit einer Auflage von 500’000 Exemplaren verfügt Blesk in Wirklichkeit jedoch über einigen Einfluss auf die öffentliche Meinung. Gemäss Ringier-Strategie muss die politische Information so gestaltet sein, dass vor allem die Neugierde und das Leserinteresse befriedigt werden.

«Vor einigen Monaten haben wir ein etwas peinliches Foto veröffentlicht, das den amtierenden Präsidenten Vaclav Klaus zeigt, wie er eine junge Frau küsste. Das haben wir gemacht, weil es die Leser interessiert und nicht, weil wir die eine oder andere Partei begünstigen wollten», veranschaulicht Böhm seine Zeitungsphilosophie.

Gemäss dem Ringier-Direktor ist dies eine ganz eigene Weise, die Kontrollaufgabe der Politik und der demokratischen Institutionen wahrzunehmen.

Zeitung weckt Träume

Um die eigenen Marktanteile zu halten, zögern auch die anderen Tageszeitungen längst nicht mehr, Skandalgeschichten auf der Frontseite zu platzieren.

«Zensur existiert heute nicht mehr, aber manchmal muss man sich schon fragen, ob sich die Qualität der Information in den vergangenen Jahren wirklich verbessert hat», merkt Alan Levy an. Er ist Chefredaktor der Wochenzeitung «The Prague Post».

«Blesk bringt die Art der Nachrichten, die die Leute wollen», kontert Tomás Böhm. Das heisst: Informationshäppchen für alle, die sie in kürzester Zeit konsumieren können. So gibt es schräge Geschichten von einfachen Leuten, seichte Geschichten von bedeutenden Persönlichkeiten, Fotos von Sportlern und heissen Frauen.

Wahrscheinlich hat es die neue Pressefreiheit nicht ermöglicht, die Träume von einst zu verwirklichen. Aber derweil fährt wenigstens Blesk fort, die Leute ein wenig zum Träumen anzuregen.

swissinfo, Armando Mombelli, Prag
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

In der Tschechischen Republik leben 10 Mio. Einwohner.
Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen beträgt 800 Euro.
Arbeitslosenquote: 8%.
Durchschnittliches Wirtschaftswachstum zwischen 1999 und 2002: 2,9%.
Schweizer Investitionen im Jahr 2001: 1,9 Mrd. Franken.

Ringier hat 1990 in der Tschechischen Republik seine Aktivitäten aufgenommen.

Ringier publiziert in Tschechien inzwischen knapp ein Dutzend Zeitungen und Zeitschriften in den Bereichen Politik, Aktuelles, Sport, Gesellschaft und TV.

Die Tageszeitung Blesk (Auflage 450’000) und das wöchentliche Blesk-Magazin (530’000) sowie Nedelni Blesk (300’000) sind die Marktleader im Zeitungswesen.

Der Umsatz von Ringier beläuft sich auf eine Mrd. Franken. Der Verlag beschäftigt in fünf Ländern Osteuropas zirka 2500 Personen. Insgesamt gibt Ringier in dieser Region 30 Zeitungs- und Zeitschriftentitel heraus.

Von der Zensur zum "Blesk" (3)

Mehr

Bundespolitik

Resultate der Abstimmung vom 24. November 2024 in der Schweiz

Mehr Resultate der Abstimmung vom 24. November 2024 in der Schweiz
Von der Zensur zum "Blesk" (4)

Mehr

Bundespolitik

Die Schweiz sagt Nein zum Autobahnausbau

Mehr Die Schweiz sagt Nein zum Autobahnausbau
Von der Zensur zum "Blesk" (5)

Mehr

Bundespolitik

Klares Ja zur Gesundheitsreform: Schweiz nimmt EFAS an

Mehr Klares Ja zur Gesundheitsreform: Schweiz nimmt EFAS an
Von der Zensur zum "Blesk" (6)

Mehr

Bundespolitik

Mietrecht: Beide Vorlagen erleiden Schiffbruch

Mehr Mietrecht: Beide Vorlagen erleiden Schiffbruch
Von der Zensur zum "Blesk" (7)

Mehr

Swiss Abroad

Ein altes Couvert als Beweis: Adoptierte Australierin erhält mit 54 den Schweizer Pass

Mehr Ein altes Couvert als Beweis: Adoptierte Australierin erhält mit 54 den Schweizer Pass

Mehr

Debatte

Von der Zensur zum "Blesk" (8)

Gastgeber/Gastgeberin Claire Micallef

Welche psychischen Herausforderungen mussten Sie nach Ihrer Auswanderung aus der Schweiz überwinden?

Trotz der Freude auf etwas Neues, kann Auswandern psychisch belastend sein. Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen – auch vertraulich via E-Mail möglich.

Nehmen Sie an der Diskussion teil

2

Likes

4

Kommentare

Diskussion anzeigen

Mehr

Debatte

Von der Zensur zum "Blesk" (9)

Gastgeber/Gastgeberin Katy Romy

Soll die Schweiz ihre Industrie unterstützen? Wenn ja, wie?

Muss der Staat eingreifen, wenn einzelne Branchen ums Überleben kämpfen? Was denken Sie?

Nehmen Sie an der Diskussion teil

5

Likes

8

Kommentare

Diskussion anzeigen

Mehr

Debatte

Von der Zensur zum "Blesk" (10)

Gastgeber/Gastgeberin Matthew Allen

Wie kann die Monopolisierung der KI durch mächtige Länder und Unternehmen verhindert werden?

KI hat das Potenzial, viele Probleme der Welt zu lösen. Aber die reichsten Länder und Technologieunternehmen könnten versuchen, diese Vorteile zu beanspruchen.

Nehmen Sie an der Diskussion teil

20

Likes

19

Kommentare

Diskussion anzeigen
Weitere Debatten

Von der Zensur zum "Blesk" (11)

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

Mehr lesen

Von der Zensur zum "Blesk" (12)

Mehr

Drei Schweizer Verleger erobern den Osten

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Nach recht schwierigen Anfangszeiten konnten sich die Verleger Ringier, Edipresse und Marquard Media im osteuropäischen Markt durchsetzen. Zerotinova 32 und 38: An dieser Adresse im Herzen Prags befindet sich der Sitz der Ringier-Gruppe Tschechien. Es handelt sich um zwei imposante und renovierte Gebäude, die sich in einer recht bescheidenen Strasse deutlich von ihrem Umfeld abheben.…

Mehr Drei Schweizer Verleger erobern den Osten
Von der Zensur zum "Blesk" (2025)
Top Articles
Latest Posts
Recommended Articles
Article information

Author: Golda Nolan II

Last Updated:

Views: 5832

Rating: 4.8 / 5 (58 voted)

Reviews: 81% of readers found this page helpful

Author information

Name: Golda Nolan II

Birthday: 1998-05-14

Address: Suite 369 9754 Roberts Pines, West Benitaburgh, NM 69180-7958

Phone: +522993866487

Job: Sales Executive

Hobby: Worldbuilding, Shopping, Quilting, Cooking, Homebrewing, Leather crafting, Pet

Introduction: My name is Golda Nolan II, I am a thoughtful, clever, cute, jolly, brave, powerful, splendid person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.